Dienstag, 9. Juli 2013

"Wir befürchten einen Arbeitsplatzabbau!"

Rückkauf der Netze
Interview mit Thies Hansen, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der E.ON Hanse AG, SPD-Mitglied im Kreis Harburg

Am 22. September wird nicht nur der neue Bundestag gewählt, am gleichen Tag, können die Hamburgerinnen und Hamburger über den teuren Rückkauf der Netze abstimmen. Die Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“ fordert die 100prozentige Rekommunalisierung der Hamburger Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme. Warum ist der Betriebsrat von der E.ON Hanse AG und der Hamburg Netz GmbH gegen den vollständigen Rückkauf der Hamburger Energienetze?

Betriebsräte stehen in der Regel nicht im Verdacht, Privatisierungen zu befürworten. Der Privatisierung liegt eine Renditeorientierung zugrunde. Diese ist wiederum oft Triebfeder für einen Arbeitsplatzabbau.

Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass die vollständige Rekommunalisierung der Netze im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei, ist völlig unzutreffend. Die Energiewende
sowie die staatliche Regulierungspolitik erfordern heute von Betriebsräten differenziertere Fragestellungen und komplexere Antworten.


Aber haben die Hamburgerinnen und Hamburger nicht auch Vorteile durch den Rückkauf der Netze?

Nein! Gerade für die Menschen in der Stadt ist kein Mehrwert zu erwarten. Die Gas- und Strompreise werden dadurch nicht sinken. Im bundesweiten Vergleich verfügt Hamburg derzeit schon über sehr günstige Gasnetzentgelte. Auch bei der Versorgungssicherheit ist Hamburg heute schon viermal besser als der Bundesdurchschnitt.

Was soll ein städtisches Unternehmen da besser machen? Und die Energiewende würde durch den Netzrückkauf schon gar nicht vorangetrieben. Der Grund: Nicht die Netze produzieren grünen Strom oder Biogas, sondern Windkraft-, Photovoltaik- und Biogasanlagen.

Aber genau für derartige Investitionen könnte der Stadt das Geld fehlen, wenn es vorher für den Netzrückkauf ausgegeben wird.

Was befürchten die Betriebsräte bei einem vollständigen Rückkauf der Energienetze für die Belegschaft?

Wir befürchten einen Arbeitsplatzabbau! Warum? Weil die Netzbetreiber bereits jetzt eine jährliche Effizienzverbesserung von 1,5 Prozent aufgrund der staatlichen Regulierungsvorgaben erbringen müssen. Dadurch besteht der Druck, Kosten einzusparen. Dieser Druck wird bei einem Komplettrückkauf der Netze noch verschärft. Schließlich müssen auch Zins- und Tilgungszahlungen beim Kaufpreis berücksichtigt werden – immerhin liegt der bei zwei Milliarden Euro.
Dass ein zusätzlicher Kostendruck auch einen zusätzlichen Arbeitsplatzabbaudruck auslöst, ist leider alltägliche Realität. Hinzu kommt, dass bei weitem nicht alle in Hamburg beschäftigten E.ON Mitarbeiter beispielsweise durch einen Betriebsübergang abgesichert wären. Nur ein kleiner Anteil der 900 Arbeitsplätze im Bereich der Netze sind bei E.ON direkt dem Netzbetreiber zuzuordnen.

Aber sind die Arbeitsplätze bei einem kommunalen Unternehmen wegen des geringeren Ergebnisdrucks nicht sicherer?

Nein, zum einen wollen die Gutachter, auf die sich Initiatoren des Volksentscheids berufen, Synergien
durch den Querverbund zwischen Strom, Gas, Fernwärme und Wasser heben.
Im Klartext heißt auch dies Arbeitsplatzabbau. Zum anderen zeigt die Erfahrung der letzten fünf Jahre, dass in den norddeutschen Stadtwerken aufgrund des von der Bundesnetzagentur auf die Netzbetreiber ausgeübten Effizienzdrucks prozentual genauso viel Personal abgebaut wurde wie bei beispielsweise der E.ON Hanse AG. Das System der Anreizregulierung kostet Arbeitsplätze,
egal ob bei einem kommunal oder privatwirtschaftlich geführten Unternehmen.

Gibt es noch weitere Befürchtungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?

Ob die erreichten Sozialstandards und Tarifverträge aufrecht zu erhalten sind, bleibt fraglich. Dies gilt auch für die bisher mit einem hohen Stellenwert belegte Ausbildung. Die E.ON Hanse-Gruppe hat eine Ausbildungsquote von rund zehn Prozent. Das ist deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Gleichzeitig investiert sie in Sonderprogramme für lernschwache Schülerinnen und Schüler, wie z.B. den Hamburger Neustart und das EidA-Programm zum Einstieg in die Arbeitswelt.
All dies wäre gefährdet.

Aber wie ist denn derzeit sichergestellt, dass die Stadt und die Arbeitnehmervertreter einen angemessenen Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben?

Die Kooperationsvereinbarung mit der Stadt Hamburg und dem SPD-geführten Senat sieht die Einrichtung eines paritätisch besetzten Aufsichtsrates vor. Somit sind allein sechs Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Hamburg Netz GmbH; dazu kommen drei Vertreter der Stadt und drei Vertreter des Unternehmens E.ON Hanse AG. Dieses bietet ein positives Beispiel
für demokratische Kontrolle.

Mit Blick auf den Volksentscheid am 22. September ziehen die Betriebsräte welches Fazit?

Die Aufgabe eines Betriebsrates ist es unter anderem, Beschäftigung zu fördern und zu sichern. Der Komplettrückkauf der Energienetze ist nicht nur teuer und schuldenfinanziert, sondern birgt auch hohe Risiken. Als Betriebsräte für die von uns zu vertretenden Kolleginnen und Kollegen der E.ON Hanse AG sind wir uns einig: Die bestehende Vereinbarung der Stadt Hamburg mit den Energieunternehmen ist die intelligentere Lösung. Es müssen so keine zwei Milliarden neue Schulden aufgenommen werden. Und sie ermöglicht Investitionen in erneuerbare Energien und Speichertechnologien bei gleichzeitiger Absicherung von
Arbeitsplätzen und Sozialstandards – und davon haben alle Hamburgerinnen und Hamburger etwas. 

Deshalb sagen wir „Nein“ beim Volks entscheid am 22. September.

Quelle: Hamburger Kurs 7/2013

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