Montag, 29. April 2013

Olaf Scholz: Ausblick auf die Energiewende

Bürgermeister Olaf Scholz hat auf seiner Internetseite eine Rede zur Energiewende gepostet, die auch die Hamburger Anstrengungen in diesem Bereich in einen gesamtpolitischen Kontext stellt.




Ausblick auf die Energiewende


Sehr geehrter Herr Dr. Cord,
sehr geehrter Herr Rühe,
sehr geehrter Herr Naumann,
meine Damen und Herren,

ich will mit einer guten Nachricht beginnen: Wir sind auf dem Weg zur Zivilisation 1.0.

Das ist der erste Schritt einer dreistufigen Skala, die der russische Astrophysiker Nikolai Kardáschow 1964 entwickelt hat.

1.0, das heißt: Die Zivilisation ist in der Lage, die kompletten auf dem eigenen Planeten verfügbaren regenerativen Energien zu nutzen, als da wären: Windenergie und Sonnenlicht, die Kraft des Wassers und der Wellen, die der Vulkane, der Blitze und, und, und...

Ganz soweit sind wir noch nicht. Experten zufolge, die so etwas berechnen, befinden wir uns etwa auf der Zivilisationsstufe 0.72. 

Allerdings hatte Deutschland sich mit dem Atomkonsens unter der rot-grünen Regierung im Jahr 2000 ehrgeizige Ziele gesetzt, die mit der Energiewende nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima vor zwei Jahren wiederbelebt und zugespitzt worden sind. Sie könnten uns der Typ-1-Zivilisation einen großen Schritt näher bringen.

Springen wir also für einen Moment ins Jahr 2050:  
  • Bis dahin werden wir unsere Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 
  • um 80 bis 95 Prozent reduziert haben.
  • Wir werden unseren Strom zu nahezu hundert Prozent aus Erneuerbaren gewinnen und trotzdem ein hochentwickeltes Industrieland bleiben.
  • In unseren Städten fahren nur noch Elektroautos.
  • Die meisten unserer Häuser produzieren mit ihren Fassaden und auf ihren Dächern genug Energie, um den Bedarf an Strom und Wärme zu decken. 
  • Im Bereich Erneuerbare Energien sind europaweit Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen entstanden.
  • Deutschland ist Export- und Innovationsweltmeister im Bereich Erneuerbare Energien.

Meine Damen und Herren,
davon ist vieles, wenn auch vielleicht nicht alles erreichbar, aber dafür müssen die Segel, um es hanseatisch zu sagen, richtig gesetzt werden. Das ist in der Vergangenheit nicht immer gelungen. Ich erinnere nur an die jüngsten Diskussionen um die Strompreisbremse und die Probleme beim Netzausbau. Mit dem Ergebnis, dass wertvolle Zeit verloren wurde.

Auch deshalb geht der Ausbau der Offshore-Windparks viel langsamer voran, als geplant. Die Offshore-Windparks sind jedoch für Energiewende von zentraler Bedeutung, weil der Wind auf dem Meer so stetig bläst, dass er für die Stromversorgung fast grundlastfähig ist.
Laut Energiekonzept der Bundesregierung sollen bis 2020 10 Gigawatt Leistung installiert sein, bis 2030 dann 20 bis 25 Gigawatt. Das wäre schon eine beachtliche Kapazität.

Derzeit sieht es nicht so aus, als ob wir diese ehrgeizigen Ziele erreichen werden. Ende 2012 waren gerade mal 280 Megawatt installiert. Im Bau sind sechs Offshore-Windparks mit mehr als zwei Gigawatt. Ob weitere projektiert werden, ist zur Zeit nicht absehbar. Bis 2020 geht die Offshore-Branche von 6 bis 7 Gigawatt aus. Das ist sehr viel weniger als notwendig wäre, um 2022 der Ausstieg aus der Atomenergie zu vollziehen.

Und das ist schlecht, denn die Energiewende ist die größte Industriepolitische Herausforderung in Deutschland in den nächsten Jahren. Das Ziel ist vorgegeben: Im Jahr 2022 soll, wie gesagt, das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen. Den Kernkraftanteil am bundesdeutschen Strommix von annähernd 20 Prozent im vergangenen Jahr müssen andere Energieträger ersetzen. Den Hauptanteil sollen dabei Erneuerbare Energien übernehmen.

Noch größer ist die Herausforderung, wenn man berücksichtigt, dass Kernenergie in den Bundesländern und Regionen in sehr unterschiedlicher Menge erzeugt wird. In Bayern beispielsweise stammen bisher 58 Prozent der Stromerzeugung aus Atomkraftwerken, in Baden-Württemberg rund 50 Prozent.

Wir müssen uns also auf einen vollständig neuen Energie-Landschaftsbau einstellen – mit immer weniger konventionellen Großkraftwerken und immer mehr vielfältigen unterschiedlichen Anlagen zur Energieerzeugung – von Erneuerbaren jeder Form bis zu schnell regelbaren Gaskraftwerken, um die Volatilität von Wind und Sonne auszugleichen.

Es muss eine Energielandschaft werden, die mit den entsprechenden Speicherkapazitäten und mit den notwendigen Hochspannungs-Übertragungsnetzen ausgestattet ist, damit der regenerativ erzeugte Strom dorthin gelangt, wo er gebraucht wird, und zum nachgefragten Zeitpunkt.

Deutschland ist noch stärker als andere Staaten Europas auf erhebliche Mengen von Strom angewiesen. So beträgt der Anteil des Stromverbrauchs in Industrie und Gewerbe in Deutschland etwa 70 Prozent. 2010 nahm die deutsche Industrie mehr als 20 Prozent des gesamten, von der Industrie in den 27 Mitgliedsstaaten der EU verbrauchten Stroms in Anspruch!

Wir können uns also weder Unsicherheiten bezüglich der Stromversorgung noch zu hohe Strompreise leisten. Deshalb muss es gelingen, die Energiewende zum Erfolg zu führen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie durch solche Unsicherheiten zu gefährden. Im Zentrum steht dabei das strategische Dreieck: dass wir Energie versorgungssicher, zu wettbewerbsfähigen Preisen, umwelt- und klimaverträglich beziehen und damit ein ausreichendes Wirtschaftswachstum ermöglichen.

Wie wir das erreichen wollen, will ich Ihnen in zehn Schritten darlegen. 

Erstens: Energie muss bezahlbar bleiben. 
Der erfolgreiche Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Fotovoltaik, hat zu steigenden Preisen geführt. Die EEG-Umlage ist inzwischen auf über fünf Cent angestiegen. Ein Teil der Unternehmen, und einkommensschwache Haushalte, geraten damit an ihre Leistungsgrenzen. Und die Belastungen werden mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren weiter ansteigen.

Zukünftig muss deshalb sehr genau geprüft werden, welche Investitionen wann notwendig sind und die Rahmenbedingungen müssen entsprechend gestaltet werden. Sinnvollen Ideen, die den Anstieg der Strompreise bremsen, werde ich mich nicht verschließen, plädiere aber für einen evolutionären Ansatz, der krasse Strukturbrüche und die Verunsicherung von Investoren vermeidet.

Das wird eine wichtige Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode sein. Denn: Der Versuch, noch vor der Bundestagswahl zu einer Verständigung zwischen Bund und Ländern über kurzfristige Maßnahmen zur Strompreissicherung zu kommen, ist gescheitert. Immerhin konnten die Länder aber die Bundeskanzlerin überzeugen, der von Minister Altmaier vorgeschlagenen  nachträglichen Kürzung eine Absage zu erteilen: von Vergütungen für Bestandsanlagen und Anlagen, für die bereits rechtlich verbindliche Verpflichtungen eingegangen worden sind. Das war ein wichtiges Signal für Investoren. 

Zweitens: Langfristig ist ein ausgewogener Energiemix aus Erneuerbaren Energien und fossilen Energieträgern notwendig.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist wichtig. Aber sie werden, wie ich anfangs schon angedeutet habe, nicht in der Lage sein, fossile Energieträger bis zum Jahr 2050 vollständig zu ersetzen. Es gibt einen Transformationszeitraum von mehreren Jahrzehnten.

Veranschlagt man für fossile Kraftwerke, die in naher Zukunft errichtet werden, Laufzeiten von mindestens 40 Jahren, werden diese im Jahr 2050 noch in Betrieb sein. Im Raum Hamburg sind es das Steinkohlekraftwerk Moorburg und das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Wedel.

Es werden aber moderne hochflexible Gaskraftwerke, wie das in Wedel, künftig auch mit Biogas betrieben werden können. Dennoch kann man allenfalls davon ausgehen, dass konventionelle Kraftwerke ab 2050 nicht mehr ersetzt werden.

Drittens: Für den Erfolg der Energiewende sind insbesondere hochflexible schnell regelbare Gas- und Dampfkraftwerke erforderlich.

Schnell regelbare Kraftwerke können die Versorgungssicherheit auch in solchen Zeiten sicherstellen, in denen nur wenig Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt werden kann, etwa bei Windstille beziehungsweise Dunkelheit. Nur so ist es möglich, die regenerative Stromerzeugung ins System zu integrieren und gleichzeitig die stark fluktuierende Erzeugung aus Wind- und Solarkraftwerken auszugleichen.

Wir stehen aber vor dem Problem, dass sich der Bau und der Betrieb von hochflexiblen, schnell regelbaren fossilen Gas-Kraftwerken immer weniger lohnt. Wegen ihrer extrem niedrigen variablen Kosten unterbieten Fotovoltaik und Windanlagen die konventionellen Kraftwerke, drücken die Preise und das macht es zunehmend schwieriger, selbst mit Anlagen im Bestand noch Geld zu verdienen.

Erst recht gilt das für den Bau neuer fossiler Kraftwerke. Um sie zu finanzieren, reichen die wenigen und unkalkulierbaren Situationen nicht aus, in denen kein Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt wird. Wenn dann noch, womit zu rechnen ist, die Preise für Gas steigen, werden sich schnell regelbare GuD-Kraftwerke noch weniger rechnen. Und damit bin ich bei meinem nächsten Punkt angekommen.

Viertens: Für die Finanzierung schnell regelbarer Gas- und Dampfkraftwerke muss eine Lösung gefunden werden.

Im Wesentlichen werden zwei Modelle diskutiert: Kapazitätsmärkte und die strategische Reserve. Kapazitätsmärkte bedeuteten, dass Kraftwerksbetreiber nicht nur für die abgegebene Leistung Geld erhalten, sondern auch für ihre Betriebsbereitschaft. Es wird also neben den schon bestehenden Strommarkt ein weiterer Markt für die Kapazitätsreserve gestellt.

Das wird unter anderem deshalb kritisch gesehen, weil es große Eingriffe in den Markt bedeutet und weitere Subventionen für den zusätzlichen Markt für Kraftwerkskapazitäten zur Folge hätte. Außerdem würden Kapazitätsmärkte die Integration der erneuerbaren Energien in das Stromerzeugungssystem mittel- und langfristig erschweren, da tendenziell geringere Anreize zur Anpassung der Stromnachfrage an das fluktuierende Stromangebot gesetzt werden.

Eine zweite Möglichkeit ist das, was Fachleute strategische Reserve nennen. Diese ließe sich mit einigen neuen Gasturbinenkraftwerken oder mit dem weiteren Betrieb einiger zur Stilllegung vorgesehener Gas- und Kohlekraftwerke sehr schnell aufbauen.

Diese Kraftwerke würden nur dann eingesetzt, wenn an der Strombörse die Nachfrage selbst bei sehr hohen Strompreisen größer ist als das Angebot. Der Strommarkt in seiner Effizienz bliebe unbeeinflusst und es könnten bessere Anreize für mehr Lastmanagement gesetzt werden als mit Kapazitätsmärkten. Die Alternativen müssen noch eingehender analysiert werden. Aus meiner Sicht wäre aber diese Lösung zu bevorzugen.

Fünftens: Das größte Potenzial für den Ersatz der Kernkraft hat die Offshore-Windkraft.

Energie hat für die Entwicklung industrieller Standorte seit jeher eine große Rolle gespielt. So ist in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern und Baden-Württemberg eine räumliche Nähe zwischen großen Industriebetrieben und großen Kraftwerken entstanden. Es hat also einen Grund, dass in den genannten Bundesländern so viele Kernkraftwerke vorhanden sind. Diese Kapazitäten werden als Folge der Energiewende sukzessive wegfallen und müssen ersetzt werden. 

Nach installierter Leistung machen die erneuerbaren Energien inzwischen fast die Hälfte des deutschen Kraftwerksparks aus, mit einem Schwerpunkt für Windenergie im Norden und einem Schwerpunkt für Solarenergie im Süden. 

Die Kapazität der Windenergie, insbesondere die nahezu grundlastfähige Offshore-Windkraft in Norddeutschland, ist vergleichbar mit der von Kraftwerken bei hoher Volllaststundenzahl. Sie hat deshalb das Potenzial, an die Stelle der wegfallenden Kernkraft zu treten.

Sechstens: Der Bau der Übertragungsnetze entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Energiewende.

Um große Mengen von Windenergie schnell vom Norden in den Süden, aber auch in die Verbrauchszentren im Westen zu transportieren, ist ein erheblicher Ausbau der Übertragungsnetze erforderlich. Der Ausbau kommt nur langsam voran. Die Folge ist eine Verschlechterung der Versorgungssicherheit – wenn auch auf hohem Niveau.

Um die Erweiterung und Ertüchtigung der Übertragungsnetze voranzubringen, sind auf Bundesebene neue rechtliche Instrumente geschaffen worden. Künftig werden die Errichtung von Offshore-Windparks und die Anbindung an das Netz besser aufeinander abgestimmt und die Netzentwicklungsplanung wird als Bundesbedarfsplan gesetzlich verankert. Zuständig für die Planfeststellungsverfahren für wichtige Leitungen des Übertragungsnetzes ist die Bundesnetzagentur.

Insbesondere für die Offshore-Windenergie muss die notwendige Infrastruktur hergestellt werden, allem voran die Netzanbindung. Der Netzentwicklungsplan 2013 enthält erstmalig auch Planungen im Offshore-Bereich, sodass nun endlich eine kohärente Ausbauplanung mit dem Netzausbau an Land möglich ist. 

Siebtens: Die Finanzierung der Übertragungsnetze muss gewährleistet sein.

Für die Nordsee obliegt die Finanzierung dem Netzbetreiber TenneT, der mit finanziellen und technischen Problemen kämpft. Für die Finanzprobleme wurde inzwischen eine Lösung gefunden, die es TenneT ermöglicht, Investoren für die Finanzierung von Offshore-Netzanbindungen zu finden.

Bei verzögerter Fertigstellung oder längeren Störungen der Netzanbindung kann ein betriebsbereiter Offshore-Windpark vom Übertragungsnetzbetreiber nun eine Entschädigung verlangen. Der Übertragungsnetzbetreiber wiederum kann diese Kosten bis zum einem gewissen Grad an die Verbraucher weitergeben. Das hat es dem Netzbetreiber TenneT ermöglicht, mit Finanzinvestoren in ernsthafte Gespräche einzutreten.

Es gibt auch schon erste Erfolge. Die Mitsubishi Corporation wird sich, so die Auskunft von Tennet, mit 49 Prozent an Gesellschaften zum Bau von zwei Anbindungen in der Nordsee beteiligen. Allerdings stehen noch Milliardeninvestitionen für den Anschluss der geplanten weiteren Offshore-Windparks an.

Parallel setzen sich Hamburg und die norddeutschen Länder dafür ein, den Netzausbau auf sicherere Füße zu stellen. Die Gründung einer deutschen Netzgesellschaft, die den Ausbau der wichtigen großen Übertragungsnetze koordinieren und voranbringen könnte, wäre dabei aus meiner Sicht die wichtigste Weichenstellung.

Achtens: Die Speicherkapazitäten müssen ausgebaut werden.

Erneuerbare Energien sind volatil. Sie produzieren zu bestimmten Zeiten zu wenig, zu anderen Zeiten zu viel Energie. Um sie zu einem späteren Zeitpunkt bedarfsgerecht abrufen zu können, müssen sie gespeichert werden.

Dazu gehören Technologien wie power-to-gas und power-to-heat, die Überkapazitäten bei den Erneuerbaren Energien speichern können.

Dazu gehört zudem die Wasserkraft, für die insbesondere Norwegen, Schweden und Österreich Speicherpotentiale bieten. 
Im Mai 2012 haben Deutschland, Österreich und die Schweiz eine Erklärung zu gemeinsamen Initiativen für die länderübergreifende Nutzung und den Ausbau von Pumpspeicherkraftwerken unterzeichnet.

Mit Norwegen hat die Bundesregierung vereinbart, bei der Netzintegration und dem Ausbau Erneuerbarer Energien zu kooperieren. Technisch planen TenneT und der norwegische Netzbetreiber Stattnet gemeinsam das Seekabel NordLink. Es schafft die Möglichkeit, über-schüssige Windenergie nach Norwegen zu transportie-ren, dort zu verwerten und in Zeiten des Windmangels in Deutschland norwegische Wasserkraft einzuführen.

Neuntens: Die preiswerteste Energie ist die, die nicht gebraucht wird.

Zur Energiewende gehört auch das alte Thema Energieeffizienz. Häufig sind Effizienz-technologien besonders kostengünstig und sie mindern die Probleme beim Umbau des Energiesystems. Dennoch stellen wir fest, dass wir in diesem Bereich regelmäßig unsere Ziele verfehlen, sowohl beim Stromsparen, bei der Energienutzung im Gebäudebereich als auch im Verkehrssektor.

Städte mit ihrer kompakten Bauweise und ihrer großen Bevölkerungsdichte haben ein besonderes Potenzial zur Verbesserung der Energieeffizienz. Ich plädiere dafür, der Energieeffizienz dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken, wie den Erneuerbaren Energien.
Zehntens: Wir müssen die Energiewende europaweit denken.

Beim Thema Energiewende ist es wichtig, Deutschland nicht isoliert zu betrachten. „Windstrom aus Norddeutschland verstopft das Stromnetz in Polen“, schrieb kürzlich die Wochenzeitung „Die Zeit“. „Polen wehrt deutschen Windstrom ab“, die FAZ. Was war passiert? 

Aufgrund großer Mengen Strom, die in Deutschland aus Erneuerbaren Energien insbesondere aus Windkraft erzeugt wurden, kam es zur Überlastung der Netze in Polen und Tschechien. Diese mussten den Strom wegen fehlender Leitungskapazitäten in Deutschland aufnehmen. Das Problem ist inzwischen gelöst. Vereinfacht gesagt, kann Polen die Strommenge aus Deutschland mit Hilfe eines Phasenschiebers nach Bedarf reduzieren.
Der Fall zeigt, dass der Ausbau des Stromnetzes europaweit koordiniert werden muss, um einen EU-Binnenmarkt für Erneuerbare Energien zu schaffen. Ein starker europäischer Netzverbund kann die Volatilität dieser Stromerzeugung besser ausgleichen. So kann anfallender Windstrom zur Stabilisierung der Netze auch in Regionen genutzt werden, in denen zum selben Zeitpunkt gerade Windstille herrscht.

Deshalb müssen wir auf europäischer Ebene über die nächsten Schritte reden. Denn die dazu notwendigen enormen Investitionen müssen jetzt getätigt werden. Dazu ist ein ähnlich koordiniertes Vorgehen notwendig, wie bei der Wirtschafts- und Finanzkrise. Nationalstaatliches Handeln bringt uns nicht weiter. 

Meine Damen und Herren,
während auf Bundesebene damit für die nächste Zeit ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm vorliegt, hat sich die Freie und Hansestadt mit der Hamburger Energiewende bereits daran gemacht, vielversprechende Lösungen zu erproben. 
Dazu gehört das Verbrauchsmanagement mit intelligenten Stromnetzen, dazu gehören Speichertechnologien und die Förderung der Elektromobilität.

In dem Projekt „Smart Energy HafenCity“ ermöglichen intelligente Stromzähler die Abstimmung von Energieerzeugung, -speicherung und -verbrauch, beispielsweise um Spitzenlasten zu vermeiden.

Das schon erwähnte Gas- und Dampfturbinen-kraftwerk in Wedel wird mit Power-to-Heat-Technologie ausgestattet, bei der mit überschüssigem Windstrom Wasser erhitzt wird. Diese Wärme wird gespeichert und bei Bedarf ins Fernwärmenetz eingespeist. Das gleiche Prinzip streben wir in Tiefstack an.

In Hamburg-Reitbrook entsteht gerade die weltweit modernste Power to Gas-Anlage. Sie spaltet mit überschüssigem Windstrom Wasser mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff wird ins Hamburger Gasnetz eingespeist und ermöglicht damit ebenfalls die Speicherung von Windstrom.

Hamburg setzt auf Elektroautos und unterstützt die Bundesregierung in ihrem Ziel, Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität zu machen. Denn sie bedient die Nachfrage nach neuen Mobilitätsangeboten und sie eröffnet neue Optionen in der Energieversorgung, wenn die Elektrofahrzeuge konsequent mit einbezogen werden: bei der Nutzung erneuerbarer Energien oder beim Lastmanagement unserer Stromnetze.

Auch die langen Ladezeiten werden bald der Vergangenheit angehören. In der Hafencity wurde gerade die erste Schnell-Ladesäule aufgestellt. Sie arbeitet mit Gleichstrom. Das verkürzt die Ladezeit von vier Stunden auf 30 Minuten. Ganz so schnell wie Treibstoff tanken ist das noch nicht, aber wir arbeiten daran.

Die Freie und Hansestadt Hamburg will an der Energiewende teilhaben und sie beschleunigen. Aber Hamburg ist auch eine Industriestadt. Auch in Hamburg werden 70 Prozent des Stroms von Industrie und Gewerbe verbraucht. Deshalb braucht die Stadt einen Masterplan für die Energiewende. Der muss sich auf das beziehen, was bundesweit unter diesem Thema, diesem Vorhaben, dieser Herausforderung geschieht. Er muss aber auch das herausarbeiten, was in der Stadt Hamburg selbst, und der Metropolregion, zu geschehen hat.

Dazu haben wir am 31. Januar dieses Jahres das Energieforum gegründet, in dem wir zusammen mit allen wichtigen „Playern“ die Energiewende voranbringen wollen. Dort werden wir in den kommenden Monaten alle Maßnahmen in Hamburg diskutieren. Auch hier zählt: Nur gemeinsam kommen  wir voran.

Meine Damen und Herren,
über Energie hat Physiker Werner Heisenberg folgendes gesagt:

„Die Energie ist der Stoff, aus dem alle Elementarteilchen, alle Atome und daher überhaupt alle Dinge gemacht sind.“

Einen Mangel an Energie sollte es also auch in Zukunft nicht geben. Wir müssen sie nur erschließen. 

Der eingangs erwähnte Nikolai Kardáschow hielt es übrigens für möglich, zukünftig nicht nur die gesamte Kraft der Sonne zu nutzen, sondern auch die ganzer Galaxien. Das wären dann die Zivilisationen 2.0 und 3.0. Sie sehen also, es bleibt also auch über die Energiewende hinaus noch einiges zu tun.


Es gilt das gesprochene Wort.

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